An den Rand
Europas
Seit der ersten Ausgabe des Bordbuches (2008) hatte ich über unsere Reise um die Welt berichtet, die ungefähr zwanzig Jahre dauerte. Doch nach der Rückkehr nach Deutschland war unser Fernweh ungebrochen. Nun war endlich mal unsere schöne und vielfältige Heimat dran. Für diesen Zweck hatten wir unseren Weltreise-Unimog durch einen kleineren Camper ersetzt. Ob sich die Entscheidung für einen ausgebauten Transporter mit 4 x 4 in Europa bewähren würde, galt es zu testen.
Besonders die Länder am Rande unseres Kontinents kannten wir kaum. Sie sollen jetzt unsere Hauptziele werden. Der Anfang liegt etwa dort, wo damals unsere große Fahrt begonnen hatte, auf der anderen Seite des Mittelmeeres.
Der Orient
Was für ein Land! Gleich zu Anfang wird man mitgerissen von den ersten Eindrücken in den Städten, mit denen fast jeder Erstbesucher beginnt. So geht es auch uns. Die bunten Farben, das laute Treiben und diesen anderen Menschenschlag empfinden wir als berauschend und exotisch. Das Wirrwarr der Gassen, die nicht enden wollenden Basare, die fremden Gerüche. Zum Glück können wir dann abends den Rückzug in unser Camper-Refugium genießen, auch wenn es zunächst „nur“ auf einem Campingplatz ist und nicht das gewohnte einsame Plätzchen irgendwo in der Natur.
Am Meer
Die Küste des Atlantiks ist für unser Bedürfnis zum einen Teil schwer zugänglich und zum anderen auch ziemlich touristisch. Uns überraschten zwei Ausnahmen. Da sind zum Beispiel die ungewöhnlichen Felsbögen bei Lekzira, unter die man bei Ebbe hindurchwandern kann. Die unterschiedlichen Lichtstimmungen am Morgen und am Abend sind wahrlich beeindruckend.
Unscheinbarer, aber umso faszinierender finde ich etwas, das ich bei einer anderen Strandwanderung entdecke. Im Süden gibt es den Plage Blanche. Ohne besonderes Ziel laufen wir los. Als ich beginne, meine Nase näher auf den Boden zu nehmen, sehe ich plötzlich eigenartige Strukturen. Kunstwerke, die das abfließende Wasser bei Ebbe erzeugt. Bilder, die die Natur gemalt hat. Mit gelbem Wüstensand der Sahara und schwarzem Sand der kanarischen Vulkane. Und zweimal am Tag, bei jeder Ebbe, entstehen sie neu.
Was für ein Zufall. Fast nebenbei hatte uns gegenüber ein Reisender bemerkt, wie sehr ihn eine kleine blaue Stadt beeindruckt hatte. Das nehmen wir als Grund, nach Chefchaouen zu fahren. Dieser Ort wird zu einem der wichtigen Höhepunkte unserer Marokko-Tour. Wenn ich die großen Städte, beispielsweise Fez oder Marrakesch, als exotisch bezeichnet hatte, so muss ich hier das Wort „Zauber des Orients“ benutzen.
Ab dem 8. Jahrhundert hatten aus Nordafrika stammende Mauren und Araber mehr und mehr Spanien erobert. Ihre Vorherrschaft hielte einige Jahrhunderte, aber ab ca. 1500 wurden viele ihrer Nachfahren ausgewiesen und siedelten sich in Marokko an. Die Bewohner von Chefchaouen brachten aus Andalusien den Brauch mit, ihre Häuser in leuchtenden Farben zu streichen. Das Blau, das „gegen den bösen Blick“ gedeutet wurde, ist hier besonders ausgeprägt. Die Atmosphäre, die von den blauen Gassen ausgeht, hatten wir noch nicht einmal in dem von uns so geliebten Andalusien erlebt.
Im Süden biegen wir nord-ostwärts ab. Binnen weniger Stunden sind wir in der Region des Anti Atlas, in einem ganz anderen Marokko. Die Reisegeschwindigkeit geht zurück auf wenige Kilometer pro Tag. Die Boten des wunderbaren Frühlings treffen auf die Beschaulichkeit der vereinzelten Oasen, die uns immer wieder zum Verweilen reizen. Wir scheinen in „unserem“ Marokko angekommen zu sein.
Eine Ksar
Aguerd Inlal heißt der kleine Ort. Was man so Ort nennen kann. Zum Teil besteht er aus einer Ruine, den Resten einer Jahrhunderte alten Ksar. Das arabische Wort steht für eine traditionelle, ländliche befestigte Siedlung oder auch Speicherburg der Berber im gesamten Maghreb. Bei meinem Streifzug durch die Oase komme ich immer wieder an Eingängen vorbei, die eigentlich nur dunkle Löcher in Mauern sind. Plötzlich stehe ich vor einem dieser Löcher. Darf man hier hinein? Ich überwinde mich und tauche ein. Ja, so fühle ich mich, wie untergetaucht. Eine Stunde oder zwei? Ich weiß es nicht mehr. Das Morbide der verlassenen Wohnstätten und das mystische Licht überwältigen mich. Wenn ich heute zurück denke, würde ich ganz bewusst die Momente in der Ksar nicht nur als meine persönliche Entdeckung, sondern auch als eines meiner eindrucksvollsten Erlebnisse bezeichnen
Die Wüste
Südlich Ouarzazate kommen im Erg Chebbi die ersten Erinnerungen an die große Wüste auf. Dann werden langsam die Straßen zu Pisten. Eine kolossale Ruhe kehrt ein. Und das unbeschreibliche Gefühl von Freiheit. Die Freiheit zu haben, auf der Piste anzuhalten und dann plötzlich dem Bedürfnis nachzukommen, den Motor nach dem Abstellen nicht wieder zu starten, sondern hier die Nacht zu verbringen. Als Gast wird vielleicht nur noch ein Kamel erwartet. Dann sind wir mit den Sternen allein.
Nach Zagora tauchen die ersten großen Dünen auf. Dahinter befindet sich die Grenze zu Algerien, dem Land, das uns leider nicht mehr offen steht. Sonst wären wir vielleicht schwach geworden und hinüber gefahren. Aber nach einigen Tagen auf dieser Seite vermissen wir die Sahara nicht mehr. Denn eigentlich ist es ja hier wie im Land unserer Träume. Einen schöneren Abschied können wir uns nicht wünschen.
Die Womo-Zwischenbilanz:
Die Entscheidung, den Aufwand zu betreiben und den Camper mit Allrad auszustatten, war absolut richtig gewesen. Dass sich das besonders im südlichen Marokko mit teilweise unwegigem Gelände bestätigen würde, kam natürlich nicht ganz unerwartet. Es ist für uns einfach ein wunderbares Gefühl, sich in einem Land mit viel offener Landschaft irgendwo am Abend „verziehen“ zu können und ein stilles Plätzchen zu genießen. Deutlich leichter als ohne Allrad.