On the road again
Es war der Traum, einmal auf „eigener Achse“
um die Welt zu fahren. Eigentlich sollte nun, nach einer kleinen Abschlussrunde durch den Osten, unser Camper nach Europa zurück verschifft werden. Jedoch hatten wir unterschätzt, dass uns die Wiederkehr nach Amerika so stark in den Bann ziehen würde. Es fiel uns einfach zu schwer, unseren so geliebten Süd-Westen diesmal auszusparen. Also führte uns unser Weg anstatt nur südwärts, gleich bis fast ans andere Ende der Staaten nach Arizona, wo der Camper abgestellt wurde, um im Folgejahr wieder zu kommen.
Ich kann mich kaum erinnern, dass ich jemals ein Land für eine zwischenzeitliche Heimreise mit
so viel Vorfreude auf die Rückkehr verlassen hatte.
Auf Nebenwegen über das Colorado-Plateau
Nach den langen Wintermonaten in Deutschland war nun Frühling um uns herum. Nach den mehrfachen Reisen hatten wir den Südwesten zu dem schönsten Fleckchen Natur der Erde erklärt. Bei der jetzigen Planung kam die Idee, diesmal auf Entdeckertour zu gehen. Nicht auf die großen Highlights konzentrieren, sondern versuchen, neue Wege zu finden.
Noch waren die Temperaturen der hier sonst sehr warmen Sommersaison angenehm. Diese Zeit würden wir dann zum überwiegenden Teil im gemäßigten Klima verbringen, nämlich auf dem sogenannten Colorado-Plateau. Das befindet sich auf einer Höhe von 1500 bis 2000 Meter ü.M. und erstreckt sich im Wesentlichen über die Bundesstaaten Nord-Arizona, New Mexico und das südliche Utah.
Bäume aus Stein
Der Entdeckungsreisende Sven Hedin hat einmal gesagt: „Jeder Mensch braucht ein bisschen Wüste“. Irgendwie müssen Gisela und ich mit ihm verwandt sein. Wie sonst kann man es verstehen, dass wir, gerade gepackt, schnurstracks in die Wüste fahren? Noch am gleichen Abend stellen wir unser Rolling Home direkt vor dem Eingang eines besonderen Nationalparks ab, dem Petrified Forest.
Am nächsten Morgen stehe ich vor einem liegenden Baumstamm. Wollte ich ihn anheben, so würde ich es nicht schaffen, denn er ist nicht nur schwer wie Stein, sondern er ist auch aus Stein. Vor ewig langer Zeit gab
es hier noch tropische Wälder. Bei riesigen Überschwemmungen fielen die Bäume ins Wasser, wurden weggeschwemmt und am Grunde von Seen im Schlamm luftdicht isoliert. Über viele Millionen von Jahren ersetzte sich in einem komplizierten Vorgang das Holz durch Mineralien, die die Form und Farbe des Holzes haben. Oder manchmal auch in leuchtenden Farben.
Ja, aus Bäumen waren Edelsteine geworden. Eines der größten Wunder der Natur. Dieses Wunder hatten wir vor dreißig Jahren schon einmal erlebt. Aber jetzt finden wir uns hier wieder – und knien nieder.
In einem Reisebericht finde ich folgenden Hinweis: „Ah-Shi-Sle-Pah. So ungewöhnlich wie der Name, so ist auch die Landschaft hier. Eine Wunderwelt aus farbigen Badlands und bizarren Hoodoos, … verbunden mit vollkommener Stille und Einsamkeit …“. Ich bin wie elektrisiert. Ich hatte mir einmal eingebildet, ich würde den Südwesten sehr gut kennen. Da schreibt nun, ausgerechnet ein deutsches Team, über eine Gegend, die mir vollkommen unbekannt ist. Was für ein Glück, der Norden New Mexicos lag am Rande unserer Tour, die über das Colorado Plateau führen sollte. Nach fast einem Tag Irrfahrt in unbeschilderter Wildnis fanden wir dank GPS das Ziel. Die erste Überraschung war, dass wir unseren Camper in direkter Nähe des Canyons abstellen konnten, wo im buchstäblichen Sinne keine Menschenseele auftauchte. Doch erst als ich am folgenden Morgen im Halbdunkel die Klippen eines Hanges, mehr hinuntergeklettert als gewandert war, wurde mir klar, wo ich mich befand. Ich konnte plötzlich den Entdeckergeist von Isabel und Stefan Synnatschke in einer Weise nachempfinden, als wäre ich tatsächlich selbst der erste Mensch, der hier hinabsteigt.
Mehrere Tage erlebten wir das große Staunen. Selbst als wir unseren Radius auf die sogenannten Bisti Badlands ausdehnten, hatten wir die weltberühmten Hoodoos, die fantastischen Felsen mit dem Hut drauf, immer noch nicht satt. Im Gegenteil, wir hängten auf dem Weg nach Utah noch eine ähnliche Wunderwelt dran, die White Rocks bei Church Wells im Norden Arizonas.
Coming home
Natürlich war es zu erwarten, dass wir uns hier zu Hause fühlen würden. Was die Natur angeht, aber auch wegen der positiven Erfahrungen mit dem Wohnmobilreisen, besonders beim freien Campen in der Natur. Doch nie zuvor hatten wir es erlebt, dass wir während einer Reise über viele Wochen nicht ein einziges Mal auf einem normalen Campingplatz übernachteten. Das liegt sicher mit daran, dass sich dieses Verhalten, um nicht zu sagen Bedürfnis, während der langen Weltreise entwickelt hatte. Doch jetzt setzte sich eine feste Erkenntnis fest, dass ausgerechnet in diesem, einem westlichen Land, die Möglichkeiten fast unbeschränkt zu sein scheinen, die schönste Natur quasi „vor der Haustür“ entspannt und sicher genießen zu können.
Mit der Fahrt durch Utah setzte sich diese Erfahrung fort. Wo kann man sonst wohl das Gefühl des Wilden Westens schöner erleben als im Valley of the Gods? In dem sich eine Stimmung einstellt, das magische Monument Valley für sich privat zu haben und der Drang entsteht, Morricones „Lied vom Tod“ summen zu wollen.Wo kann ich das Abenteuer so hautnah haben, wie an der Potash Road entlang des Colorado Rivers?
Und wo kann ich dann anschließend außerhalb eines der schönsten Parks, wie dem Canyonlands Nationalpark ein ruhiges Plätzchen finden, auf dem ich zum Frühstück auf „meinen eigenen“ Felsen krabbeln und dann anschließend auf einem Wanderpfad innerhalb des Parks wie ein Adler über die unendliche Weite des Red Rock Countries schauen kann? Und wo sonst kann ich in Sichtweite eines alten Friedhofs übernachten, auf dem ich einen Teil der Geschichte Amerikas von einem Grabstein ablesen kann?
Der geheime Canyon
In einem versteckten Winkel im nördlichen Teil des San Rafael Swell hatte sich ein vorbeiwanderndes Paar zu uns ans Lagerfeuer gesetzt. Wir teilen offensichtlich die gleiche Leidenschaft. Nach einer Weile fragen sie: „Wie gefällt euch denn der Little Wild Horse Canyon?“. Gegenfrage: „Wo ist der denn?“, mit der Betonung auf „der“.
Ausgestattet mit der Streckenbeschreibung und dem Hinweis, sich vorher nach der aktuellen Gefahr einer Sturzflut zu erkunden, stehen wir zwei Tage später vor einer neuen Erkundung. Diesen sogenannten Slot Canyon hatten wir bisher überhaupt noch nicht auf dem Schirm. Dementsprechend marschieren wir mit leichten Vorbehalten los. Aber bereits nach einer knappen Stunde schlägt die Stimmung mehr und mehr in Begeisterung um. Es sind einmal diese immer wieder wechselnden Formen der Felswände, von schwungvollen Linien, über Löcher in der Wand, die an einen Schweizer Käse erinnern, und die immer enger und höher werdende Schlucht, die eigenartig schummerig wirkt. Dann ist da dieses prickelnde Gefühl, man würde durch diese Enge nicht auch noch hindurchpassen oder diesen Absatz nicht hinaufschaffen können. Bis man es dann doch packt. Diese Mischung aus Staunen, kleinem Abenteuer und Entdeckungslust wird später sogar die Reihe unserer Favoriten erweitern. Trotz der Tatsache, dass man ab und zu ein paar Menschen begegnet wird sich daran nichts ändern, denn zwischen dem Gedränge im Antelope Canyon und dem Little Wild Horse Canyon liegen immer noch Welten.
Valley of Fire
Lange hatten wir überlegt. Lohnt es sich, einen langen Umweg bis fast nach Las Vegas zu fahren, obwohl wir nicht sicher waren, ob uns nicht die Erinnerung einen Streich spielen würde? Hatten wir nicht schon öfter gedacht, man sollte deshalb eigentlich nicht zu den persönlichen kleinen Paradiesen zurückkehren? „Kann es denn noch schöner werden als entlang des Scenic Drives, an den ich mich von früher erinnere?“
Ja, es kann. Das wussten wir erst nach mehreren Tagen, die wir abseits auf den kleinen Wegen im Valley of Fire verbracht hatten. Es gibt, so glaube ich, kaum eine Region, die in dieser Konzentration so formenreich und farbenfroh ist. Man muss sich als Fotograf fast zwingen, diese Farben nicht so abzubilden, wie sie sind. Das Ergebnis wird fast immer kitschig schön ausfallen, um nicht zu sagen „amerikanisch“ übertrieben. Natürlich sind die paar Meilen am Scenic Drive schon ein Höhepunkt für sich. Doch um die ganze Landschaft im Detail und auch als Ensemble wertschätzen zu können, da muss man ab und zu aussteigen und ein paar Meilen wandern, auch wenn es nur wenige sind. Der Lohn kann nicht ausbleiben. Ein großes Bild in der Erinnerung. Man muss sich nur drauf einlassen.
Die weiße Wüste
Das Colorado Plateau liegt hinter uns. Der Kreis beginnt sich zu schließen. Zum Abschluss gibt es für uns nur eines. In die Wüste abtauchen. Wir kehren noch einmal zurück nach New Mexico. In der Chihuahua Desert, nicht weit von der Grenze zu Texas, gibt es eine Form der Sandwüste, die sich von allen anderen unterscheidet. Anstatt in gelben bis rötlichen Tönen, leuchtet sie in schwach bläulichen Tönen bis hin zu einem Weiß, das im Sonnenlicht den Augen schmerzt. Das Geheimnis, die Dünen von White Sands sind aus feinem, purem Gips.
Das Wahrzeichen von White Sands, die prallen Blüten der Yucca-Palmen fehlen zurzeit. Denn es war inzwischen Herbst geworden. Aber es gibt mehr als einen Ersatz dafür. Der spärliche Bewuchs der Dünenhänge drängt sich mit dem Leuchten der goldenen Blätter an den Cottonwood-Büschen einem nun förmlich auf. Und wenn man dann hineinläuft, einfach Düne auf, Düne ab, wechselt langsam das Bild der Oase. Von Schönheit in Stille und Inspiration.