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Unterwegs mit James

Rund ums Baltische Meer

21 Tage –  7.434 km –  7 Länder

Das Schönste an einer Rundreise? Es geht immer voran, niemals zurück. Ein Roadtrip mit besonderem Flair.

 

James ist blutjung. Gerade mal 32 Jahre alt. Und genauso lange ist er uns ein treuer Reisebegleiter. James? Unser Mercedes 309 D – ein Westfalia James Cook, mit gerade einmal 341.594 Kilometern auf der Uhr – mit dem ersten
Motor, versteht sich. Mit ihm starten wir auf eine besondere Reise: Immer der Nase nach, immer weiter, niemals umdrehen – eine Reise rund um das Baltische Meer steht uns bevor. Von Stuttgart aus nördlich, über Dänemark nach Schweden, immer weiter nordwärts. Bis wir knapp unter dem Polarkreis durchtauchen, um östlich nach Finnland zu gelangen. Wir umrunden den Bottnischen und überqueren den Finnischen
Meerbusen, um dann südlich über Estland, Lettland und Litauen ins schon fast heimatlich vertraute Polen zurückzukehren. Dort wollen wir in Jarocin ein wenig auf den Spuren unserer Großeltern wandeln. Ein strammes Programm, immerhin haben wir nur drei Wochen zur Verfügung. Doch alles schön der Reihe nach.

Abenteuer Weltreise

So richtige Urlaubsgefühle kommen erstmalig auf Fehmarn auf. Unsere ursprüngliche Planung bis Kopenhagen durchzufahren legen wir, von der langen Fahrt geschafft, auf Fehmarn ad acta. Die Bordküche verwöhnt mit Schnitzel-
ecken und Bratkartoffeln, Jürgen liest entspannt in der Zeitung, als sein Blick auf den linken Hinterreifen fällt. Plattfuß. Und zu allem Überfluss fehlt dem brandneuen Wagenheber etwas Hub. So wird das nichts – aber der flott herbeieilende ADAC-Techniker macht James schnell wieder fit. Was für ein Anfang. Doch die Erfahrung lehrte uns: Wir haben maximal einen Platten pro Tour, gut, dass wir den schon abgehakt haben.

Von Puttgarden setzen wir über nach Schweden, eine ebenso kurze wie herrlich kurzweilige Überfahrt. Von dort bummeln wir die Küstenautobahn nach Göteborg hinauf. Neben dem obligatorischen Hard Rock Café besuchen wir den Stadtteil Haga mit weiteren, gemütlichen Cafés und die Prachtstraße mit dem unaussprechlichen Namen Kungsportsavenyn. Unweit davon finden alle, die ein Faible für schöne Gärten und Parks haben, den Trädgårdsföreningen-Park. Dieser wurde 1842 von König Carl XIV. Johan gegründet, ist absolut sehenswert. 

Von Göteborg richten wir uns wieder östlich mit dem Reiseziel Småland. Wir steuern nicht den Katthult-Hof an, auf dem die Romanfigur von Astrid Lindgren, Michel aus Lönneberga, sein Unwesen trieb, sondern das Glasreich, in der Gegend zwischen Växjö und Kalmar. Rund eine halbe Million Besucher bestaunen hier in jedem Jahr die faszinierende Kunst der Glasbläser. Ein Muss für alle Schwedenurlauber. Die Preise? So viel sei gesagt: Schäppchen findet man wenige, aber Staunen kostet nichts.

Auch einen schönen Wildcampingplatz finden wir nicht. Wir sind nicht zum ersten Mal in Schweden – vieles hat sich verändert. Die Schilder „Camping verboten“ hatten wir in der Vergangenheit eher selten gesehen. Doch wir können die schwedischen Gemeinden verstehen – zu viele Reisemobilisten kennen keinen Anstand, respektieren Privatgelände nicht, oder hinterlassen Müll an ihren Übernachtungsplätzen. Und wie so häufig: Die Zeche zahlen alle, auch diejenigen, die sich respektvoll verhalten.

Eddi Special

Doch es gibt sie noch diese besonderen Plätze. Einen Tag später genießen wir einen herrlichen Stellplatz direkt am geschichtsträchtigen Göta-Kanal. Legal und kostenfrei – inmitten unberührter Natur.

Seit Tagen begleitet uns nun schon permanenter Landregen auf unserer Tour. Wie man diesem entfliehen kann? Durch einen Besuch einer Stadt. Also geht es für uns nach Stockholm. Auch hier statten wir dem Hard Rock Café einen Besuch ab, wollen uns mit ortstypischen Gläsern eindecken. Doch diesmal haben wir Pech. Alle ausverkauft. Dafür haben wir abends Glück: In Öregrund finden wir einen netten Stellplatz für die Nacht. Unsere Bordküche serviert heute Buletten mit Ananas. Wer’s noch nicht kennt – unbedingt probieren. Anschließend flanieren wir noch etwas durch den Ort – ein entspanntes Unterfangen – in der Vorsaison sind viele Bars und Gaststätten noch erstaunlich leer. Ein „Seebär“ prophezeit für den kommenden Tag Sonnenschein. Wir lassen uns überraschen. 

Am nächsten Morgen linst zwar hin und wieder die Sonne durch die Wolkendecke, doch auf unserer Fahrt in den Norden, bleibt Regen unser ständiger Begleiter – mit der Wetterprognose lag der Seemann also nur so mäßig richtig. Doch wenn einmal die Sonnenstrahlen auf das satte Grün der schwedischen Landschaft trifft, taucht sie Wiesen und Wälder in ein geradezu magisches Licht.

Es ist Samstag – der Wochentag, an dem wir auch mal gerne Essen gehen. Wir wünschen uns schwedische Spezialitäten – und landen beim Thai. Immerhin: Das Essen ist lecker, aber richtig teuer. 

Wasser bestimmt die Landschaft. An der Küste, wie auch im Inland. Unzählige Seen ziehen vorbei, grüne Wälder mit weißen Birkenstämmen. Wir besuchen die Birkenstadt „Umea“, doch finden die Altstadt nicht und ziehen etwas enttäuscht weiter. Unsere Aufmerksamkeit gilt nun, mal wieder, dem Schalthebel von James, der sich mal wieder gelockert hat. Doch diesmal erst nach etwa 3.000 Kilometern. Routiniert zieht Jürgen die Schrauben nach. 

Abends belohnt uns Schweden mit einem Bilderbuchstellplatz am Seeufer mit Blick auf rote Ferienhäuser. Wunderschön, mit einem Hauch kitschiges Postkartenmotiv. Ein kleiner, sandiger Badestrand vor der Schiebetür, die Bordkombüse verwöhnt heute mit gegrilltem Fisch, Kartoffeln, frischen Pfifferlingen und grünen Bohnen. Unser Importbier vom Niederrhein schmeckt köstlich. Schon um 20.15 Uhr gehen im James die Lichter aus. Wir sind rechtschaffen erledigt von der langen Fahrerei. Tags darauf können wir den Polarkreis zwar nicht sehen, aber fühlen. Wir besuchen Gammelstad, ein Unesco-Weltkulturerbe mit einer imposanten, trutzigen Steinkirche im Mündungs-
delta des Flusses Lule älv. Über 400 Hütten sind hier erhalten. Hier konnten Bauern übernachten, wenn sie, von weither angereist, den Gottesdienst besuchten. Von solchen Kirchendörfern sind nur noch wenige in Schweden erhalten.

Von Gammelstad aus ist es nur noch ein Steinwurf bis zur finnischen Grenze. Abends kommen wir dort in Kierikki, Finnland an. Den Regen konnten wir nicht abschütteln – auch hier regnet es in Strömen. Dazu gesellt sich ein eisiger Wind – der hohe Norden kann mitunter etwas ungemütlich werden. Uns entschädigt ein traumhafter Stellplatz an der Küste. Und da es zum Wandern und Baden definitiv zu kalt ist, investieren wir die Zeit in ein leckeres Abendmenü.

Weiter südlich passieren wir die Städtchen Vaasa und Pori, um kurz darauf in Rauma einen Abstecher zu einem weiteren Weltkulturerbe zu machen: der größten Holzstadt Skandinaviens. Hier leben 700 Einwohner, verteilt auf etwa 600 Gebäude. Die Stadt wurde schon 1442 gegründet, womit sie die drittälteste von Finnland überhaupt ist. Es ist tatsächlich so, wie viele Reiseführer schreiben: Ein Spaziergang durch Rauma gleicht dem Betreten einer Märchenwelt. Und wir genießen jeden Meter – denn endlich lacht einmal die Sonne. Wer Sinn für Handwerkskunst hat: hier findet man tolle
Mitbringsel in etlichen Boutiquen. 

Der kommende Tag gilt dem Fahrzeugservice. Wir finden endlich einen Rastplatz, wo wir das Porta-Potti entleeren können, eine Gastankstelle suchen wir hingegen vergeblich. Die Landschaft ist, ganz anders als erwartet, von Getreidefeldern und großen Silos geprägt. Von Rauma halten wir uns streng östlich nach Iittala. Hier finden sich neben wundervoller Glaskunst auch herrliche, mächtig teure Wok-Pfannen. Wir schlagen zu, die Versuchung ist zu groß.

So sehr uns Russland lockt, die Uhr tickt, wir entscheiden uns auf direktem Weg via Fähre von Helsinki nach Tallinn überzusetzen. Auf Wiedersehen Finnland, hallo Estland. Doch leider fährt uns die Fähre frühmorgens direkt vor der Nase weg, die nächste fährt erst abends um 21.30 Uhr. Also heißt es erst einmal: hallo Helsinki. Direkt am Hafen ist Markt, allerdings finden wir neben überteuertem Kitsch wenig Interessantes. Wir suchen uns einen netten Stellplatz und ich verbringe Stunden damit Möven im Flug zu fotografieren – um die 200 Bilder entstehen so.

Am Abend klappt die zweistündige Überfahrt in die estländische Hauptstadt Tallinn dann völlig reibungslos. Das Wetter? Wer hätte es gedacht – strömender Regen empfängt uns in Estland. Umso erstaunter sind wir am kommenden Morgen, als uns ein Sonnenstrahl wachkitzelt. Wir bezahlen den Stellplatz am Hafen und wollen uns, wie viele tausend andere Touristen auch, in Richtung Altstadt aufmachen. Tallinn wurde im Mittelalter gegründet und gilt heute als die am besten erhaltene mittelalterliche Stadt Nordeuropas. Ein Geheimtipp ist ein Besuch also sicherlich nicht mehr. Tallinn ist recht übersichtlich und lässt sich im Grunde problemlos per pedes erkunden. An der Küste finden sich viele Promenaden und kleine Strände, in der Altstadt bezaubern gotische Turmspitzen, kleine Kopfsteingassen und wunderschöne Architektur. In Souvenirläden findet man fast immer eine Ecke mit Holzhandwerkstücken, die meist aus Wacholder hergestellt wurden. Unverkennbar ist dieses Holz an seinem eigenen Duft zu erkennen.

Estland ist übrigens seit 1991 unabhängig, gerade einmal 45.000 Quadratkilometer klein und beherbergt nur 1,4 Millionen Einwohner. Absolut sehenswert: das hochentwickelte Handwerk, wie beispielsweise Holz, Textilien und Strickwaren. Kunterbunte Fäustlinge und Socken Wollpantoffeln und Strickpullover finden sich in etlichen kleinen Läden. Wer Kulinarisches sucht: Marzipan, Pralinen, Kama (eine Mischung aus geröstetem Gersten-, Roggen-, Hafer- und Erbsenmehl, die mit Buttermilch als leckeres Frühstück angeboten wird), Elch- und Wildschweinwürste, Schwarzbrot, Craft Beer und schmackhafte lokale Liköre lohnen sich unbedingt. 

Der letzte Stopp ins Estland: die Universitätsstadt Tartu. Sie ist Estland’s zweitgrößte Stadt und eine von drei Europäischen Kulturhauptstädten. Wer möchte, erkundet die komplette Stadt ganz entspannt mit einem der überall angebotenen Leihräder, oder mit einem der CNG-
gasbetriebenen Busse – Tartu gehört zu den
Sustainable Top100, wurde 2020 für seinen nach-
haltigen Tourismus ausgezeichnet. 2024 wird Tartu eine besondere Ehre zuteil: Die Stadt wird
europäische Kulturhauptstadt. Wir erkunden die Altstadt, den botanischen Garten und besuchen den bezaubernden Liebespaarbrunnen.

Hoppla. Wir sind schon in Litauen. Eine Grenze hatten wir gar nicht bemerkt, nur ein Europa-Schild, das wohl den Grenzübertritt markiert hat. Die Straßen sind besser als ins Lettland, wir besuchen eine kleine Kirche mit deutschen Soldatengräbern aus dem Ersten Weltkrieg. Erstaunlich gut gepflegt alles, ein beeindruckendes Plätzchen.

Die Fahrt geht vorbei an unzähligen Störchen und einem total veralgten See, den wir uns ursprünglich als Übernachtungsplatz ausgesucht hatten. Wir stoppen kurz, um den Schaltknüppel von James mal wieder festzuziehen – und weiter geht’s. Immerhin: Nach über 5.000 Kilometern der einzige kleine Service, den der alte Knabe verlangt.

uf dem Weg nach Lettland passieren wir zerfallene Höfe und Häuser, folgen einigen vergilbten, braunen Schildern, die uns zu einer alten Kirche und einer ebenso alten Mühle führen. Doch während die Kirche gerade restauriert wird, scheint die alte Mühle als Ziegenstall zweckentfremdet zu werden. Der Fotografin in mir gefällt die Szenerie, ohnehin scheint sich zwischen den Hügeln, Wäldern und Seen dieser Landschaft die „Estnische Seele“ versteckt zu halten. 

Über marode, nicht besetzte Grenzanlagen, die aussehen wie aus dem Kalten Krieg, kommen wir nach Lettland. In C-esis gibt es einiges zu erkunden, die Stadt ist voller malerischer alter Häuser, allerdings ist der Glanz alter Zeiten nur unter einer dicken Schicht Patina zu erahnen. Das Geld für aufwändige Restaurierungen scheint zu fehlen. Wir übernachten an einem See des Nationalparks Gauja. Das abendliche Bad im See und unser Abendessen im gemütlichen Seerestaurant wird uns fast von tausenden Stechmücken vermiest. Zum Glück haben wir von unserem USA-Trip noch Deet im Gepäck und können die kleinen Plagegeister erfolgreich auf Abstand halten.

Frühmorgens weckt uns ein Angler, der gerade den Motor seines Schlauchbootes warmlaufen lässt. Stolz präsentiert er uns einige Brocken Deutsch, die er in jungen Jahren in der Schule erworben hat, mit drei Angeln an Bord verabschiedet er sich freundlich. Ein nettes Treffen, wie so viele auf dieser Tour.

Vorbei an gefühlt hunderten Storchenpaaren rumpelt James wacker auf einer der richtig miesen Pisten – bis wir unversehens einen Shop mit traditionellen Strick- und Webarbeiten erreichen. Lettland ist bekannt für exzellente Handwerkskunst. Wir bestaunen Röcke, Tücher, Socken und Decken und vieles mehr. Ein paar schöne Mitbringsel füllen James – die ersten Weihnachtsgeschenke sind somit sicher.

Das Litauische Freilichtmuseum, rund 25 Kilometer östlich der Stadt Kaunas, ist schon alleine eine Reise nach Litauen wert. Wir starten schon morgens um 10.00 Uhr auf die Besichtigungstour – immerhin ist der Rundweg etwa sieben Kilometer lang – und es gibt etliches zu entdecken. In dem hügeligen Terrain finden sich Dörfer, Einzelhöfe und allerlei landwirtschaftliche Gebäude ganz unterschiedlicher Bauart, die verschiedene Regionen Litauens repräsentieren. Alle entstammen der Zeit vom Ende des 18. bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Schmuckwerkstätten, eine Weberei, eine Getreidemühle und eine Töpferei – sogar eine Werkstatt, die zu Herstellung von Bernstein-Schmuck diente, finden sich hier. Wir können es nicht sein lassen und erstehen eine hübsche Bernsteinkette, einen Weidenkorb und einen Holzteller. James füllt sich zusehends. Und übrigens: Wer eine Reise nach Litauen plant, sollte einen Besuch des Museums an eine der Sonderausstellungen oder Folklorefestivals koppeln. Ein unvergleichliches Erlebnis (Infos: www.llbm.lt). 

Der Verkehr in Litauen ist mitunter etwas rasant – einige Holzkreuze am Straßenrand zeugen von missglückten Überholmanövern. Da unser James recht langsam unterwegs ist, überholen uns sogar viele Lkw, was einige unschöne Situationen heraufbeschwört. Wir sind am Abend heilfroh, als wie wieder einen wunderschönen, einsamen Übernachtungsplatz an einem See finden. Es dämmert schon, als uns hier dennoch die Polizei besucht. Interessiert werfen sie einen Blick in James, grüßen recht nett und waren genauso schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. 

Die Nacht über ruft ein Kuckuck, morgens kreischen unzählige Möven am See, junge Störche unternehmen erste Flugversuche auf der Wiese: Natur pur, einfach herrlich. Etwas wehmütig lenken wir James über die sandige Piste zurück in die Zivilisation. Unser nächstes Ziel: das Hard Rock Café in Warschau. Wir brauchen ein paar Gläser für Jürgens Sammlung. Der Verkehr in Warschau ist derart nervenaufreibend, dass wir James parken und mit dem Taxi in die City fahren.

Die letzten Urlaubstage verbringen wir rund um Jarocin und wandeln auf den Spuren unserer Vorfahren. Das alte Rathaus wurde wieder schön hergerichtet, wir besuchen ein Museum. Leider finden wir die Bäckerei nicht mehr, in der Jürgens Mutter gearbeitet hatte.

Durch wunderschöne Alleen fahren wir durch fruchtbares Land, das noch vor 100 Jahren die Kornkammer Deutschlands war. Die Grenze zu Deutschland ist zum Greifen nah, unsere Rundreise neigt sich dem Ende zu. Drei Wochen, über 7.400 Kilometer, sieben Länder. Gerne würden wir doch noch umdrehen und die herrliche Tour zurückfahren.